Die Liebe sei herzlich. (Römer 12,9) 

Es ist nicht immer einfach, jemanden, der einem nicht sympathisch ist, zu lieben. Man schafft es vermutlich, die kurze Zeit der oberflächlichen Begegnung am Sonntagmorgen nett zu sein, aber das ist ja noch keine herzliche Liebe.

Nun, „herzlich“ heisst im Original „ungeheuchelt“. Nicht nur so tun, als ob. Wie mache ich das? Ich betrachte meine Glaubensgeschwister als Ebenbilder Gottes. Sie sind wie ich von Gott geliebt und erwählt, das ewige Heil zu empfangen. Ausserdem haben Sie etwas, was mir mangelt. Und umgekehrt. Wir ergänzen einander in unserer Unterschiedlichkeit. Nun gut, vielleicht nervt mich etwas, das ich einfach nicht übersehen kann. Doch so, wie mich eine Eigenart eines anderen nervt, nervt meine Eigenart vermutlich jemanden. Dann heisst lieben auch kennen. Wen ich nicht kenne, kann ich auch nicht lieben. Bei näherem kennenlernen erklärt sich so manches und es fällt einem leichter, über Andersartigkeiten hinweg zu sehen (die Liebe erträgt alles). Und bei näherem kennen lernen, erkennt man vielleicht sogar Gemeinsamkeiten und erfähr, woran sich das Gegenüber freut und woran es leidet (Sympathie kommt von syn = mit/ zusammen und pathein = leiden). 

Mit anderen Worten, herzliche, ungeheuchelte Liebe braucht Zeit. Wenn Geschwister keine Zeit miteinander verbringen, werden sie nur mässig fähig sein, sich herzlich zu lieben. Nehmen wir uns doch immer wieder bewusst Zeit. Zeit, einander näher kennen zu lernen und Zeit, einander zu lieben. Nur so werden wir fähig, das Gebot der Bruderliebe zu erfüllen.